Das große Gemälde an der Nordwand: Der sinkende Petrus

Mitten in unserer Kirche hängt dieses Bild, das vielen noch aus der Zeit vertraut sein dürfte, als es[nbsp]noch das Altarbild war. Die Christusgestalt leuchtete damals allen entgegen, die vom Turm aus in die Kirche traten. Ein tröstender Anblick.

Im Jahre 1883 feierte unsere lutherische Kirche den 400ten Geburtstag Martin Luthers. Aus diesem Anlass sollte ein neues Altarbild angeschafft werden. Die Schwägerin des damaligen Superintendenten Rinker, Frau Minna Blaß, wurde beauftragt, ein neues Altarbild zu malen.

In der Zeit vor der Erfindung der Fotografie war es gängige Praxis, Bilder von bekannten Künstlern zu kopieren. So wählte der Kirchenvorstand ein Gemälde von Richard Richter als Vorbild aus: Die Geschichte vom sinkenden Petrus, wie sie im Matthäusevangelium im 14. Kapitel aufgeschrieben ist.

Die Darstellung von Jesu Heilstaten entspricht der damaligen Frömmigkeit. So findet man gerade diese Geschichte nach der Vorlage von Richter in vielen Kirchen. Eine davon sah ich in einer Kirche in Lettland.

„Der sinkende Petrus“ wurde damals einfach vor das alte Abendmahlsgemälde in ]unserer Kirche gesetzt. Erst bei der großen Renovierung im Jahre 1956 entdeckte man das inzwischen vergessene Originalbild vom Abendmahl wieder. Die Darstellung vom sinkenden Petrus bekam daraufhin einen neuen Platz: Zunächst im hinteren Seitenschiff, und nach der letzten Renovierung hängt sie nun an der Nordwand.

Das Bild wird beherrscht von der großen hellen Gestalt Jesu, der auf dem Wasser steht. Ein heller Strahlenkranz umgibt sein Haupt und er wendet sich Petrus zu, der im Wasser zu versinken droht, und der voller Angst mit der einen Hand das Gewand Jesu und mit der anderen die Hand Jesu ergreift. Im Hintergrund wird das Schiff, in dem die übrigen Jünger sind, von den Wellen mächtig hin und her gerissen. Am Himmel sind einige Sterne zu sehen. Es ist wohl die Zeit zwischen der Nacht und dem anbrechenden Morgen. Am Horizont zieht ein schmaler Lichtstreifen auf, die Nacht wird weichen, der Morgen macht sich schon bemerkbar.

Im Matthäusevangelium wird berichtet, dass die Jünger ohne Jesus über den See an das gegenüberliegende Ufer fahren.
Jesus will nach dem anstrengenden Tag noch allein sein, um zu beten. Und die Jünger reden noch von dem ereignisreichen Tag, der hinter ihnen liegt. Was sie in den vergangenen Stunden erlebt hatten, hätten sie sich wohl in ihren Künsten Träumen nicht vorgestellt: Eine riesige Menschenmenge war ihnen in die Wüste gefolgt. Jesus hatte Kranke geheilt, hatte ihnen von Gott erzählt, von seiner Liebe zu den Menschen. Und dann kam der Abend. Gebt Ihr ihnen zu essen, seine Aufforderung. Lächerlich, fünf Brote und zwei Fische für so viele Menschen. Aber das Unfassbare geschah, sie wurden alle satt und es blieb noch viel übrig.

So und ähnlich werden die Jünger während der Überfahrt geredet haben. Aber auf einmal kommt ein Sturm auf. Und obwohl sie alle aus ihrer jahrelangen Arbeit als Fischer den See und seine Tücken kennen, bekommen sie mit einem Mal schreckliche Angst. Doch was ist das? Da kommt ja jemand auf sie zu, geht über das Wasser, als ob es keinen Sturm und keine hohen Wellen gäbe. „Ein Gespenst!“ - schreien sie. Eine noch größere Furcht überkommt sie. Aber, der da auf sie zukommt, ist kein Gespenst: Es ist die Rettung, es ist Jesus selbst. „Habt keine Angst, ich bin’s!“ ruft er ihnen zu. - Ja, da erkennen sie ihn! Die größte Angst ist vorbei. Und Petrus, Petrus ist begeistert. Er möchte so wie Jesus auch auf dem Wasser gehen können. „Ja, komm her!“, ruft Jesus ihm zu. Und Petrus traut sich. Er steigt aus dem Boot, geht Jesus entgegen. Wunderbar! Welch ein großartiges Gefühl! Aber auf einmal hört Petrus nur noch den Sturm. Er sieht und spürt die Wellen, das Tosen des Meeres - und er sinkt. Wo ist Jesus? Petrus hat ihn aus seinen Augen verloren – und er spürt, wie er immer tiefer sinkt. Er findet keinen Halt. All sein Mut ist plötzlich dahin. Er fürchtet, dass die Fluten über ihm zusammen schlagen. In seiner letzten Not schreit er so laut wie er nur kann: „Hilf mir, Herr!“ Schon ist Jesus bei ihm. Und Petrus ergreift dessen ausgestreckte Hand, mit seiner anderen klammert er sich am Gewand von Jesus fest. Er blickt nach oben, zu Jesus, die Dunkelheit weicht, er findet Halt. Die Angst ist auf seinem Gesicht noch sichtbar, aber sie lähmt ihn nicht mehr. Und Jesus redet Petrus an: „O Petrus, so schnell war dein Glaube dahin? Haben dich Zweifel überwältigt, hast du nur noch auf das dunkle Wasser geschaut, in die unergründliche Tiefe, hast du nur noch auf den Sturm gehört.“

Wir wissen, wie die Geschichte weiter geht: Jesus und Petrus treten zu den anderen Jüngern ins Boot. Der Sturm legt sich so plötzlich, wie er gekommen war. Als dann beide, Jesus und Petrus, zu den anderen ins Boot steigen, können die Jünger nur noch anbetend sagen: „Du bist wirklich der Sohn Gottes!“ Eine Geschichte mit gutem Ausgang. Darum nenne ich das Bild auch gerne „Die Geschichte vom geretteten Petrus“.