„Bei euch ist die Mauer weg!“ Diesen Satz meines dänischen Kollegen in Kopenhagen quittierte ich mit ungläubigem Staunen – bis er mir Berlinske Tidende mit den Bildern der Nacht vom 9. November unter die Nase hielt.
Auf dem Weg zurück nach Berlin fuhr Trabi an Trabi auf dem Weg nach Hamburg, Lübeck oder zurück. Die Schlagbäume an der innerdeutschen Grenze blumengeschmückt. Grenztruppen der DDR in verworrenem Zustand angesichts der nie gekannten Menschenströme aus und in den Arbeiter- und Bauernstaat; überfordert in der ungewohnten Situation.
Von Auto zu Auto, von Warteschlange zu Warteschlange der Ruf: Woher kommen Sie? – Aus Waren, aus Schwerin, aus Dessau. Ortsnamen, die bis dato westlich des eisernen Vorhangs nur von Flüchtlingen und Ausgebürgerten oder Rentnern als Herkunftsort genannt wurden. Doch diese hier, sie waren auf dem Rückweg vom ‚ersten Westausflug’.
In beide Richtungen erfolgten tastende Schritte in weitgehend unbekanntes Land und neue Epoche der deutschen Geschichte. Aufbruch Europas, erfolgreich und friedlich erkämpft von Polen, Ungarn, Tschechen und Deutschen. Geduldet und befördert von Russland, den USA, England und Frankreich. Ein Moment gelebter europäischer Versöhnung auf weltpolitischem Niveau.
Die Macht der Kerzen und Gebete, vor denen Gewalt kapitulieren musste. In Berlin waren wir miteinander glücklich, feierten zwischen Ost und West mit den Besuchern aus der ganzen Welt. Die Normalität des Alltags hatte der Spürbarkeit der Besonderheit des Lebens Platz gemacht. Die Zweitakterabgase wurden zum Geruch der Freiheit, die Novembersonne zum Freudenschein. Menschen begegneten einander neu, kamen ohne sich zu kennen miteinander ins Gespräch.
Die Einmaligkeit dieser Zeit fand im Wort ‚Wahnsinn’ Ausdruck, das in aller Munde war. Damit sollte gesagt werden, dass hier etwas geschah, das nicht nur alle Erwartungen übertraf, sondern auch das, was eigentlich für menschenmöglich gehalten wurde. – Ein Wunder!
Aber Wunder – was ist das? Dass das Unmögliche geschieht? Gegen Naturgesetze und Vernunft? Oder nicht vielmehr, dass etwas geschieht, das der Mensch gemeinhin für unmöglich hält, der sich und andere beschränkend so oft selbst im Wege steht?
Sind die Hürden, Hindernisse und Behinderungen, die unser Leben beschweren, unumgänglich oder gottgewollt? Oder ist nicht eben vielmehr ihre Überwindung Gottes Wille? Fülle des Lebens statt Lebensbegrenzung.
Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen. Nicht nur fremde, sondern auch eigene, hinter denen ich mich verschanze. Nicht nur aus Steinen errichtete, sondern auch die in den Köpfen. Mit meinem Gott kann ich mich auf Weite einlassen, auf neue Wege, neue Zeit. In dieser Weise vertrauend offenbart und naht sich das Wunderbare; wird für unmöglich Erachtetes möglich. Viel zu selten trauen wir uns zu, dass auch uns der Geist erfassen und zu Wunderbarem fähig machen kann. Dazu braucht es ein Gottvertrauen, aus dem Selbstvertrauen wächst. Dazu braucht es Mut, der auf der Basis der Hoffnung steht. Dann wächst Kraft aus dem Wissen um das Miteinander.
zum Freudenschein. Menschen begegneten einander neu, kamen ohne sich zu kennen miteinander ins Gespräch.
Die Einmaligkeit dieser Zeit fand im Wort ‚Wahnsinn’ Ausdruck, das in aller Munde war. Damit sollte gesagt werden, dass hier etwas geschah, das nicht nur alle Erwartungen übertraf, sondern auch das, was eigentlich für menschenmöglich gehalten wurde. – Ein Wunder!
Aber Wunder – was ist das? Dass das Unmögliche geschieht? Gegen Naturgesetze und Vernunft? Oder nicht vielmehr, dass etwas geschieht, das der Mensch gemeinhin für unmöglich hält, der sich und andere beschränkend so oft selbst im Wege steht?
Sind die Hürden, Hindernisse und Behinderungen, die unser Leben beschweren, unumgänglich oder gottgewollt? Oder ist nicht eben vielmehr ihre Überwindung Gottes Wille? Fülle des Lebens statt Lebensbegrenzung.
Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen. Nicht nur fremde, sondern auch eigene, hinter denen ich mich verschanze. Nicht nur aus Steinen errichtete, sondern auch die in den Köpfen. Mit meinem Gott kann ich mich auf Weite einlassen, auf neue Wege, neue Zeit. In dieser Weise vertrauend offenbart und naht sich das Wunderbare; wird für unmöglich Erachtetes möglich. Viel zu selten trauen wir uns zu, dass auch uns der Geist erfassen und zu Wunderbarem fähig machen kann. Dazu braucht es ein Gottvertrauen, aus dem Selbstvertrauen wächst. Dazu braucht es Mut, der auf der Basis der Hoffnung steht. Dann wächst Kraft aus dem Wissen um das Miteinander.
Vieles ist erreicht und geleistet worden seit dem 9. November 1989. Nicht alles ist gelungen, manches gescheitert, einiges nie versucht worden. Dennoch haben wir inmitten der Völker Europas an Freiheit, Frieden und Wohlstand arbeiten können. Nicht nur in unserem Land. Aber es bleibt auch noch vieles zu tun: in uns, um uns und auch weit über die Grenzen Europas hinaus. Denn das Bauen von Mauern, das Ausgrenzen, die Schikane finden immer wieder neue Orte.
Es bleibt für uns geschichtliche Verpflichtung und christlicher Auftrag, dagegen immer aufs Neue anzugehen und im ‚christlichen Hürdenlauf’ mit Gott Mauern zu überspringen und für das Leben in Freiheit und Würde einzutreten.
Joachim G. Cierpka
PS: Als das Psalmwort Mitte der 80 Jahre im Losungsbuch der Herrnhuter Brüdergemeine erscheinen sollte, versah der Zensor allen ernstes die Stelle mit dem Vermerk: ‚auch über die Berliner?’